Schwimmen und Kommunikation
Gestern war ich schwimmen.
Das ist an und für sich nichts ungewöhnliches, da ich ohnehin laufend schwimmen gehe. Da es regnete, suchte ich aber nicht meinen Lieblingsplatz unter der alten Eiche auf, sondern bewegte mich mit Hilfe der städtischen Verkehrsbetriebe ins Schwimmbad.
Beide Plätze unterscheiden wesentliche Elemente: Die alte Eiche steht in einer verborgenen Bucht direkt am Wasser. Unter ihr befinden sich kleine und große Steine, Wurzeln, die in meinen Rücken pieken, Glasscherben von der letzten Strandfete, die ich erstmal zusammensuche und dann anschließend wegwerfe, Enten, die irgendwann auf meiner Decke landen, weil sie meinen Rucksack interessant finden, Muscheln, Spinnen, Sonnenstrahlen und vieles andere mehr. Eigentlich ist es kein geheimnisvoller, oder besonders schöner Platz. Aber es ist mein Platz.
Ich würde ihn unter Einsatz meiner Schwimmnudel verteidigen. Aber dorthin will ohnehin niemand, weil man erst über einen Felsen und dann einen glitschigen Baumstamm steigen muss.
Mühe zahlt sich doch manchmal aus.
Das Schwimmbad ist eher etwas mühevoll zu erreichen und im Eingangsbereich riecht es nach Schwefelwasserstoff. Die Umkleidekabinen erinnern mich an die mühevoll verdrängten Zeiten des schulischen Schwimmunterrichts, der mich eher demotivierte. Wenn ich nach Umkleidekabine 3 rechts abbiege, komme ich in die einzige neu gestaltete Dusche und von dortaus ins Bad selbst. Das Wasser ist klar und unter dem Beckenrand strahlen Scheinwerfer und tauchen menschliche Beine in weiße, wabblige Massen. Die Duschen sind eigentlich schön... man kann sich das Chlor abwaschen und die Haare föhnen und muß nicht halbnass nach Hause fahren.
Normalerweise steige ich ins Wasser, setze die Schwimmbrille auf und ziehe dann meine 60 Runden. Dann mache ich einige Klimmzüge am Beckenrand und schwimme noch ein bisschen, bis ich keine Lust mehr habe. Dann hoppse ich noch schnell ins Nichtschwimmerbecken und entspanne mich ein bisschen. Vielleicht gibt es noch Wassergymnastik, die je nach Trainerin vom gemütlichen Workout bis zum Bootcamp geraten kann. Ich werde die 25 rückwärtigen Klimmzüge am Beckenrand, die meine Rückenmuskeln demolierten und den anderen Beteiligten rote Köpfe und Atemnot beschwerten, sicherlich nicht so schnell vergessen.
Auch die kleine Rothaarige sieht nur so unschuldig aus... wie sie die versammelte Mannschaft durchs Becken jagte und dabei "Schneller, Knie höher, höher, höher!" brüllte, erschien mir noch nachts im Traum.
Gestern nun: Letzter Schultag. Ich kam aus der Umkleidekabine, duschte und öffnete die Tür zur Schwimmhalle, als ich von einem Vakuum irrsinniger Schreie hineingesogen wurde.
Klar: Kinder machen Krach. Wenn die Eltern dabei sind, noch mehr, denn die Kleinen sind so glücklich, dass sich jemand mal um sie kümmert, dass sie noch lauter herumschreien.
Aber das war einfach atemberaubend. Die sonst so ruhige Schwimmhalle war angefüllt mit einer Horde brüllender Kinder und Jugendlicher, wobei die Jugendlichen eigentlich noch lauter als die Kinder waren, denn nur so kann man ja schließlich die Angebetete oder den Angebeteten auf sich aufmerksam machen. Schreie sind ein wesentlicher Teil menschlichen Balzverhaltens. Zu unterscheiden ist dabei nach hilflosen, empörten oder auffordernden Schreien, bzw. nach Imponierrufen der männlichen Balzenden untereinander. Sie werden vor allem ausgestoßen, wenn man auf den 5-Meter-Brett steht und anschließend mit einer Arschbombe nach unten springt.
Ich zog meine Schwimmbrille auf und hoppste ins Schwimmerbecken und zog meine ersten Runden, bis mich ein weiterer Schrei vor lauter Schreck fast absaufen ließ: Im Schnellschwimmerbecken war ein Kind mit Schwimmflügeln einem vor sich hin kraulenden Mann auf den Rücken gesprungen, der nun abwechselnd das Kind und dessen Mutter anbrüllte. Die Mutter indes versuchte den Mann zu beruhigen und brüllte ihr Kind an, das vor ihr davonschwomm und zurückbrüllte: "Ich komm nicht raus! Ich komm nicht raus!".
Schließlich ließ der Vater einen Urschrei ab und das Kind schwamm an den Rand, wonach alle drei einander anbrüllten.
Um dem Ganzen zu entgehen, schwamm ich weiter. Unterdessen begann im Sprungbecken ein Springwettkampf, der sich zu gehörgangzerfetzender Lautstärke steigerte.
Was soll's... man macht trotzdem weiter. Man ist ja kein Spielverderber. Ich frage mich dennoch, ob die Existenz von Wasser sich auf die Lautstärke auswirkt.
Auf jeden Fall scheint Krach eine Menge Spaß zu machen. Ich sollte das auch mal versuchen. (-;
Aber vorerst gehe ich heute lieber in den Wald zum Walken. Hoffentlich geraten die Eichhörnchen angesichts des Wassers, das in Massen vom Himmel kommt, nicht in eine ebensolche Euphorie, wie gestern die ferienbegeisterten Wasserratten.
Rilla - 29. Jul, 12:41