Dienstag, 21. Dezember 2010

Weihnachtsgedanken

Als ich heute Morgen das Radio einschaltete, war ich relativ schnell relativ sauer.

Einmal mehr wurden eine Anzahl von Menschen vorgeführt, denen Weihnachten nach Ansage der Sprecher nichts bis gar nichts bedeutete. Diese Menschen wurden nach Slapstick-Manier mit „Häähh?“ oder „Hmmm?“-Lauten unterlegt. Was lässt sich zu diesem Akt der Lächerlichkeitmachung sagen? Natürlich bedeutet nicht jedem Menschen das Weihnachtsfest gleichviel und die einen wissen vielleicht mehr davon als die anderen.
Ich als praktizierende und glaubende Christin kann mit den Riten und Bräuchen meiner Kirche mehr anfangen und ich weiß auch mehr über die zahlreichen Stellen in der Bibel, die mit Weihnachten in Verbindung gebracht werden, als andere. Und ich wette mit Euch, selbst wenn ich nicht noch wissenschaftlich theologisch vorgebildet wäre, wüsste ich noch mehr über die Weihnachtslieder und ihre Inhalte als die Moderatoren, die die Texte der Hymnen und Lieder von ihrer Computerscreen ablesen und sich über andere Menschen lustig machen.

Mir ist es eigentlich gleichgültig, ob der eine Weihnachten als Fest der Christgeburt empfindet und der andere als Rauschereignis oder römisches Saturnal. Ein Zeuge Jehovas überreichte mir neulich eine Kampfschrift, die mich davor warnte, dass man eigentlich sowieso nicht genau wissen könnte, ob das alles so wahr sei und dass man davon abkommen sollte, Weihnachten zu feiern. Ich entgegnete dem freundlichen Herrn, dass ich das anders sähe und eigentlich das ganze Jahr Weihnachten feiern würde. Er starrte mich ziemlich entgeistert an, was ich ihm nicht verdenken kann.

Mein Weihnachtsfest hat nichts mit rotgoldener Glückseligkeit zu tun oder damit, dass einmal im Jahr die ganze Familie zusammenkommt und die Kinder schwindlig beschenkt. Es geht mir nicht um das gute Essen und auch nicht um den Gottesdienst oder die Lieder, auch wenn die mich als Musikerin in einen rauschhaften Zustand der Seligkeit versetzen und ich regelmäßig in Tränen ausbreche. Es geht nicht um Schokolade oder Spekulatius (wobei ich inzwischen begriffen habe, dass der bereits ab Sommer verkauft wird, um das Mindesthaltbarkeitsdatum auszunutzen), oder um Eierpunsch und Champagner. Genauso wenig geht es mir an Ostern um bunte Eier oder Hefekranz, am Valentinstag um Blumen und rote Herzen.

Am leichtesten lässt sich das wohl mit dem Muttertag erklären. Meine Mutter ist nun seit mehr als 25 Jahren tot, eine lange und schreckliche Zeit. Aber an die Mutter nur zu denken, wenn ein bestimmter Tag im Jahr herankommt und dann noch hastig Blumen am Bahnhof zu kaufen... nein. Das war noch nie mein Fall. Die Erinnerung an meine Mutter kommt manchmal unverhofft und schmerzhaft, zum Beispiel wenn ich meine Neffen spielen sehe oder ich etwas Wunderschönes in meinem Leben habe, von dem ich ihr gerne berichten würde. Die Erinnerung an meine Mutter ist immer irgendwie da, wie ein leichter Schmerz, der nicht weggeht. An manchen Tagen ist er stärker, an den meisten schwächer. Weitaus schlimmer ist für mich, dass ich mich an so wenige glückliche Augenblicke mit ihr erinnern kann, in denen sie mich auf dem Schoß hatte oder ich an ihrer Hand ging. Wenn ich eine solche Erinnerung wachrufen kann, ist die Liebe für sie wieder da. Die ich damals, als kleines Mädchen nicht verstehen konnte und doch tief in mir trug.

Als ich zum ersten Mal begriff, was Weihnachten und auch Ostern in sich trägt, war ich schon erwachsen. Vielleicht ist auch das normal. Ich saß in einer kalten Osternacht in der Kirche und durchlebte die Lesungen und die Lichtwerdung, bis ich die gesungene Totenwache schließlich in die aufwachende Osterfreude übergehen lassen konnte.
Wenn am Gründonnerstag das Letzte Abendmahl gefeiert und am Karfreitag der Tod Christi beweint wird, kann man ergriffen sein. Ich verstehe jeden, der damit nichts anfangen kann und ich akzeptiere jeden Atheismus. Warum auch nicht? Ich glaube schließlich auch nicht an alle Dinge. Ich glaube beispielsweise nicht daran, dass ich jemals reich werde oder berühmt oder insgeheim zweifle ich auch daran, dass ich jemals heirate, aber was soll's?
Weihnachten und die Adventszeit sind für mich nicht die Zeit unbegrenzten Konsums. Wir haben schon vor Jahren aufgehört, uns gegenseitig etwas zu schenken. Es sind meistens nur Kleinigkeiten, aber die erfreuen mich umso mehr. Beispielsweise wenn meine Neffen sich einen Nachmittag oder zwei hinsetzen und mir etwas basteln. Letztes Jahr bekam ich eine Halskette, davor einen Kerzenleuchter und der Kleinste malt mir abstrakte Bilder, in denen irgendwo ein Strichmännchen mit wild abstehenden Haaren auftaucht, das ein anderes, winziges Strichmännchen an der Hand hat. Und er erklärt: „Das is Rilla mit Pim. Dehn sbaziere.“
Natürlich erinnere ich mich an den Jubel meiner Kinderzeit, wenn ich vor mir die bunten Päckchen fand. Oft waren sie viel zu schnell ausgepackt, was aber weniger an der Anzahl, als an der Lust des Auspackens lag.
Meine Neffen bekommen jedes Jahr zwei Geschenke von mir, ein normales und ein kleines. Das kleine enthält immer Fußballbilder oder Pokémon-Karten für 50 Cent. Warum auch nicht? Die Freude über das Betrachten, Tauschen und Verschenken ist meist groß. Manche Dinge werden wohl niemals unmodern. Das große wird sorgfältig ausgesucht. Ich frage danach, was sie gerade lesen, was sie interessiert. Was beschäftigt die Jungs von heute? Nicht die großen, atemberaubenden Wünsche sind mir wichtig, sondern die, bei denen ich weiß, die halten noch lange an.

Auch ich bin wieder dem Basteln verfallen. Ich male und bastele zierlichen Schmuck, ich stelle Kalender zusammen, suche Gedenksprüche oder Gedichte heraus, versuche mir vorzustellen, was den Einzelnen interessiert. Wenn ich dann am Heiligen Abend sehe, dass sich jemand länger als eine Minute mit meinem Geschenk beschäftigt und sich entspannt zurücklehnt und darin blättert, schmunzelt, es ansieht und untersucht, dann bedeutet das mir sehr viel. In mageren Zeiten habe ich mir vorgenommen, nicht mehr als 50 Euro für Geschenke auszugeben, das schaffe ich jetzt auch noch. Lieber wenig und richtig, als viel und unbedacht.
Mir geht es ebenso. Ich bekomme vor Weihnachten oft Dutzende Tafeln Schokolade geschenkt, die ich meistens gar nicht essen möchte, aber ich freue mich. Einmal hat mir eine Schülerin eine Schachtel Pralinen vorbeigebracht. Ich weiß, dass sie jeden Euro sparen muss, deswegen war die billige Packung Pralinen aus dem Discounter für mich ein teures Geschenk.
Einmal bekam ich eine einzelne rote Rose von einem Muslim, der meinte: „Zu deinem Fest alles Gute.“ Dass ich im Unterricht die einzelnen Glaubensrichtungen mit einem tiefen Respekt vorgestellt hatte und gleichzeitig auf die Gemeinsamkeiten der abrahamitischen Religionen hinwies, schien ihn doch beeindruckt zu haben. Dafür habe ich ihm dann zum Zuckerfest gratuliert und im Ramadan ein Auge zugedrückt, wenn er vor lauter Hunger mal wieder kurz vor dem Wegnicken war.

Den meisten Leuten schenke ich gar nichts. Ich erinnere mich an eine Fernsehsendung, in der eine Taxifahrerin Berge von Werbegeschenken für ihre Kundschaft durch die Gegend fuhr und total gehetzt zu Hause ankam. So etwas will ich für mich nicht. Ich möchte etwas von dem tiefen Frieden, den der Advent in sich trägt, spüren und mitnehmen. Ich möchte langsam auf das Fest zugehen, so wie ich es in einem Zisterzienserkloster erlebt habe. Es war eine stille Zeit, von der Dunkelheit geprägt, obgleich die Gesänge der Mönche vom kommenden Licht erzählten.
Nichts anderes ist der Advent: Die Erwartung des Lichtes, das Warten auf den Augenblick. Wenn ich dann die Weihnachtsgeschichte, jenes ferne und doch immer wieder neuartige Märchen höre, bin ich für einen Augenblick gerührt.

Der Frieden ist in mir, wenn ich ihn suche. Weihnachten ist und bleibt mir still und warm und ruhig.


Ich wünsche Euch allen, ganz gleich, wie Euer Weihnachten ist, Frieden und Momente des Glücks.

Impuls

Freue dich über jeden Morgen, an dem sich ein friedlicher Himmel über dich wölbt. Geniesse den Tag, an dem du satt wirst an Leib und Seele, und atme das Glück von Freundschaft und Liebe ein wie den zarten Duft des erwachenden Frühlings. Koste jeden frohen Augenblick aus, und du wirst spüren, was es heisst, das Leben zu lieben. Christa Spilling-Nötker

Spruch des Tages

"Ihr singt mal wieder wie ziviler Ungehorsam." (Ein nicht zu nennender Dirigent)

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